Gastbeitrag von Petra Jauch im Gespräch mit dem Unternehmensberater und eLearning-Experten Dr. Christian Pirker

Vorwort

Das Interview von Petra Jauch mit Christian Pirker wurde am 23. Oktober 2015 im Blog „Zukunft Personal“ veröffentlicht. Das ist der offizielle Blog von Europas größter Fachmesse für Personalmanagement.

Weiterbildungskonserven sind wie ein Grippevirus

E-Learning gilt in vielen Unternehmen als kostengünstige Alternative zu Präsenzseminaren. Doch auch effizientes Online-Lernen hat seinen Preis, gibt Mag. Christian Pirker zu bedenken. In der Praxis mangele es Webinaren und Co. allzu oft an Herz, Hirn und Hand. Von diesen weit verbreiteten, sterilen Weiterbildungskonserven hätten Mitarbeiter jedoch sehr schnell genug.

Wie es auch per Computer gelingt, Lernende einzubinden und somit zu begeistern, verrät der Experte im Keynote-Vortrag auf der Personal Austria 2015. Wir sprachen mit ihm schon im Vorfeld über seine Erfahrungen und seine Erfolgsformel für effektives Lernen.

Herr Mag. Pirker, viele Unternehmen nutzen heute Computer als Lehrmeister. Kann der Bildschirm mehr als ein Pädagoge?

Computer eröffnen ganz neue Möglichkeiten im Lernen, können aus meiner Sicht aber nicht den Pädagogen ersetzen. In meinen Ansätzen spielt die Pädagogik insofern immer eine große Rolle. Das beginnt zum Beispiel mit der Integration von Tutoren und dem Versuch, Interaktionen zu erzeugen.

Wo stößt die Technik denn an ihre Grenzen?

Sie stößt dann an ihre Grenzen, wenn Lernen rein technisch verstanden wird. In der Praxis beobachte ich häufig eine naive Technikgläubigkeit. Von Unternehmen oder auch Privatpersonen werde ich ja oft dazu eingeladen, mir ihre Systeme anzusehen. Da sieht man dann, dass ein rein technisches System nicht das vermitteln kann, was ein integriertes System mit Pädagogik leistet.

Man klickt sich einfach durch und es bleibt nichts hängen?

Es bleibt nichts hängen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Mitarbeiter rein formale E-Learning-Konserven einfach 90 Minuten durchlaufen lassen und dann sagen: Fertig, Pensum erfüllt. Das ist häufig Realität und zum Teil auch bedenklich, wenn es um wichtige Informationen geht.

Sie beklagen einen Mangel an Herz, Hirn und Hand beim Einsatz von E-Learning. Geht das in diese Richtung?

Ja, das geht in diese Richtung. Man produziert Inhalte, verteilt sie an die Teilnehmer. Ohne Herz, allein zur Pflichterfüllung. Das Hirn fehlt auch sehr oft, weil man nicht weiterdenkt, was Effektivität bedeutet. Außerdem mangelt es an technischer Kompetenz und am technischen Verständnis bei der Umsetzung, also an der Hand.

Sie selbst arbeiten nach einer Erfolgsformel, die dies verhindert. Können Sie dazu etwas sagen?

Genau, sie lautet IL3=ELF10. Wir haben ja immer sehr gutes Feedback von unseren Kunden erhalten und deshalb für uns einmal untersucht, was eigentlich den Unterschied ausmacht. Unsere Ansprüche sind dabei sehr hoch. Die 10 in der Formel steht dafür, dass wir zehnmal so gut sein möchten wie die Mitbewerber. Das Kernelement dazu ist Erfahrungsorientiertes Lernen (EOL). Mit diesem Begriff habe ich schon vor Jahren in meinen Präsenzseminaren gearbeitet und ihn dann auf das E-Learning übertragen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ich verwende keine allgemeinen Fallstudien, sondern stelle immer einen direkten Bezug zum Berufsalltag der Teilnehmer her – etwa durch die Aufgabe: „Denken Sie an einen konkreten Fall aus ihrer Praxis, bearbeiten Sie diesen und bringen Sie ihn dann in das Forum oder Plenum ein“. Das heißt, die Lerninhalte werden mit den eigenen Erfahrungen der Teilnehmer verknüpft. Das macht das Lernen effektiver, denn so entstehen wirklich neue Strukturen im Gehirn.

Und wie funktioniert erfahrungsorientiertes Lernen am Computer?

Am Computer erreichen wir es dadurch, dass wir das Tutoring als Instrument verwenden. Wir versuchen es auch durch den Einsatz von Communities of Practice, um Diskussion und Interaktion zu ermöglichen.

Das ist natürlich wesentlich aufwändiger als eine Weiterbildungskonserve zu produzieren. Aber der Effekt ist ein ganz anderer und auch die Motivation der Teilnehmer ist eine ganz andere. Wir haben kaum Absprungraten und die Zufriedenheit ist sehr hoch. Das Problem ist ja, dass die Spannungskurve schnell nach unten geht oder gar nicht erst erzeugt wird. Je nach Format ist deshalb davon auszugehen, dass 90 Prozent der Teilnehmer nichts gelernt haben oder abbrechen, weil es sie nicht interessiert.

Nochmal zur Formel IL3=ELF10, wofür stehen die Abkürzungen?

IL3 steht für integriertes Lernen in drei Dimensionen oder auf drei Ebenen. Die erste Integration ist die Integration der Lerninhalte in die bestehende Wissensstruktur der Lernenden. Dazu gestalten wir die Arbeitsaufträge so, dass die Teilnehmer Beispiele wählen, die aus ihrer Erfahrungswelt stammen.

Der zweite Effekt ist die logische Folge daraus: die Bearbeitung eigener Beispiele erleichtert den Lerntransfer. Neu erworbene Kompetenzen lassen sich viel besser in die Praxis transferieren und im Berufsalltag erfolgreich anwenden. Die praktische Umsetzung wird beim Lernen ja bereits mitgedacht.

Und die dritte Dimension?

Die dritte Dimension meint die Integration der Lernsituation in den beruflichen Alltag. International aufgestellten Firmen raten wir zum Einsatz von E-Learning, um lange Anfahrtswege und hohe Reisekosten zu vermeiden. Das ist im Grunde nichts anderes als Distance Learning. In Australien beispielsweise wird ja schon sehr lange über Funk unterrichtet. Basiswissen, das immer wieder vermittelt werden muss, kann sehr gut in Form eines Online-Kurses weitergegeben werden.

Online-Kurse, die etwas bewirken sollen, sind allerdings auch nicht gratis zu haben! Tutoren kosten etwas, auch ein gutes Drehbuch gibt es nicht umsonst. Für effektives E-Learning muss man schon richtig Geld in die Hand nehmen. Daran scheitern viele kleine Unternehmen. Für große Unternehmen rechnet sich die Sache aber schnell.

Ist auch die Altersstruktur der Teilnehmer von Bedeutung? Empfehlen Sie E-Learning eher für jüngere, technikaffine Belegschaften?

Im Grunde spielt das Alter keine Rolle, aber man darf die Technik nicht unterschätzen – vor allem, wenn sie neu ist. Wir empfehlen deshalb Probeläufe. Zu bedenken ist auch das Thema Zugangsdaten und Passwörter: Wir hatten einmal einen Kunden, der hochkomplizierte Passwörter für ein E-Learning System vergeben hat. Damit wurde schon das Einloggen zum Problem. Auch bei Webinaren oder Webkonferenzen ist eine Einführung angebracht.

Am Alter scheitert es aber nicht. Mitarbeiter mittleren Alters zeigen grundsätzlich sehr gute Ergebnisse, weil sie schon lange mit Computern umgehen und zudem gelernt haben, strukturiert und selbstorganisiert zu arbeiten. Teilnehmer jenseits der 60 haben wir selten, das hängt aber mit der Bildungslandschaft in Unternehmen zusammen. Mitarbeiter, die vor der Pensionierung stehen, werden meistens nicht mehr in große Bildungsmaßnahmen entsandt.

Welche Stolpersteine gibt es beim E-Learning?

Wenn Ihre Mitarbeiter keine stark autistischen Züge haben, sind sterile Konserven ein großes Problem: Sich 90 Minuten etwas anschauen zu müssen, was urlangweilig ist, wird zwangsläufig zur Qual.

Von einer Bank-Managerin wurde ich einmal dazu eingeladen, mir ein Kundenwebinar anzusehen. Der Bildschirm war sehr steril und das eigentliche Seminar hat erst nach fünf Minuten begonnen. Dazu gab es dann eine knappe Begrüßung. Die Folien waren inhaltlich in Ordnung, aber der Sprecher kam nicht gut rüber. Fragen waren nicht zugelassen und Feedback war auch nicht erwünscht. Die Managerin hatte schon den Verdacht, dass etwas schief läuft. Aber die Bank zeigte sich beratungsresistent nach dem Motto „Wir wollen das so“.

Es ist aber nun mal so: Menschen haben Bedürfnisse. Sie wollen begrüßt werden – das gehört einfach dazu. Bei Webinaren macht es zudem wenig Sinn, wenn nur eine Person vorträgt. Wir empfehlen unseren Kunden immer, mit zwei Akteuren zu arbeiten: einem Referenten, der die Inhalte vermittelt, und einem Moderator, der im Hintergrund die Diskussion steuert und auf Zwischenfragen Antworten gibt, zum Beispiel in einem ergänzenden Text-Chat. Es ist ein schwerer Fehler, hier zu sparen.

Eine ganz wichtige Rolle beim E-Learning spielt ja die Motivation. Leider gibt es allzu viele Beispiele dafür, wie man es nicht machen sollte. Deshalb sagen viele Mitarbeiter „Um Gottes Willen, schon wieder ein E-Learning!“ Das ist wie bei einer Verkühlung oder Grippe: Man muss möglichst schnell durch und dann geht das Leben weiter. So soll es aber nicht sein. Ich habe schon erlebt, dass Teilnehmer in anderen Kontinenten freiwillig um fünf Uhr früh aufstehen, um mitmachen zu können. Das ist dann wohl der beste Beweis für Motivation und Begeisterung.

Über Mag. Christian Pirker

Christian Pirker studierte Angewandte Betriebswirtschaft mit Berufs- und Betriebspädagogik an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Seit 1998 ist er Geschäftsführender Gesellschafter der Christian Pirker KG. Seit nunmehr 20 Jahren ist er mit den Themen „Unternehmensentwicklung“, „Führung“ und „Lernen von Individuen und Organisationen“ befasst. Er hat zudem als Referent, Verfasser von wissenschaftlichen Publikationen und Lektor an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt einen Namen.

Erleben Sie Christian Pirker auf der Messe Personal Austria:

„Effektives E-Learning als Teil des Integrierten Lernens in Organisationen“

Donnerstag, 5. November 2015, 15:30 bis 16:00 Uhr

Messe Wien, Halle C, Forum 2

Weitere Blogbeiträge zum Thema

Keynote auf der Personal Austria

Sterile Weiterbildungskonserven sind wie ein Grippevirus

Grundlagen des eLearning

eLearning in Kärnten