Gastbeitrag von Dr. Gerhard Breitkreuz
Welche Bedeutung kommt dem Phänomen Erfahrung zu? Eine wieder häufiger gestellte Frage, seitdem der demografische Wandel auf die Agenda gerückt ist und sich die Unternehmen personalpolitisch und organisationssoziologisch mit der Wissenstheorie und der Unterscheidung von explizitem und implizitem Wissen beschäftigen.
Aber innegehalten! Unter systemtheoretischen Aspekten sollten zunächst zwei Arten von Erfahrung unterschieden werden:
Es gibt Systemerfahrung in den Unternehmen und Erfahrung in den psychischen Systemen
Erfahrung – ob Gut oder Böse – ist auf der einen Seite ein personenunabhängiger Prozess im Organisationssystem Betrieb. Diese Form der Erfahrung dient der Strukturbildung und der funktionalen Ausdifferenzierung des Systems.
Erfahrung kann aber auch ein Teil der Kognitionen eines psychischen Systems, einer Person sein. Nur im Ausnahmefall ist beides kongruent.
Systemerfahrung im Unternehmen
Positive Erfahrungen, aber auch Fehler, bestimmen den betrieblichen Alltag. Beide Komponenten haben aus systemtheoretischer Sicht die gleiche Gewichtungsqualität. Das System selbst entscheidet, welche Impulse von anderen Systemen der betrieblichen Umwelt der Ausdifferenzierung der Programme dienen sollen. Wenn Brennstoffzellen in der gesellschaftlichen Umwelt zu einem Dauerthema werden, kann sich das System Automobilfirma sich den – systemtheoretisch gesprochen Dauerirritationen oder Störungen nicht verweigern. Es wird – auch relativ unabhängig von konkreten Personen – eine neue Entwicklungskultur aufbauen. Entscheidungen werden an Entscheidungen anknüpfen. Programme und Forschungsdatenbanken dieser Firma werden sich verändern.
Systemerfahrung bei den psychischen Systemen
Arbeiter, Entwicklungsingenieure und Marketing werden in diesen Lernprozess einbezogen. Aber Vorsicht! Bereits Peter Senge hat darauf aufmerksam gemacht, dass die betriebliche Lernprozesse und die individuellen durchaus divergent sein können. Nicht jede Lernerfahrung lässt sich in die unterschiedlichen Systeme transferieren. Was ankommt, darüber entscheiden die Systeme selbst, sie agieren selbstreferentiell.
Welchen Stellenwert hat Erfahrung in einem Wissenssystem?
Man unterscheidet in der Wissenstheorie zwischen explizitem und implizitem Wissen. Erfahrung ist geronnen und impliziertes Wissen. Erfahrung ist jenseits von Gut und Böse. Systemtheoretisch würde ich mit Spencer Brown argumentieren, wenn ich gute und schlechte Erfahrung als Differenzmodell beschriebe. Dann müsste ich beide Formen als gleichwertig beschreiben. Die Erfahrung ist auf der einen Seite bereits Teil eines historisch zu beschreibenden Unternehmenssytems und als Teil der Person auch selbstreferentielles individuelles Erfahrungsmodell.
Beides in Einklang zu bringen ist aus systemtheoretischer Sicht ein schwieriger Prozess des Kommunikativen Handelns. Erfahrung kann verloren gehen: „Wenn Volkswagen wüßte, was es weiss“. Erfahrung kann auch in den Gedächtnissystemen der Personen verdrängt oder deaktiviert werden. Dieses systemtheoretische und kognitionstheoretisch angelegte Dilemma gilt es zu minimieren. Aufheben kann man das nicht!
Über den Autor
Dr. Gerhard Breitkreuz begleitet Projekte aus dem Gesundheits- und Personalmanagement.
Herr Dr. Breitkreuz hat in seinem Beitrag „Erfahrung – systemtheoretisch revisited“ ein ganz wichtiges Thema angesprochen, das in der Arbeit unserer Unternehmensberatung, aber auch in den Managementseminaren und im eLearning eine große Rolle spielt.
Erfahrung ist ein zentrales Thema in meinem persönlichen Denken und Handeln. Ich verwende seit Jahren den Begriff des Erfahrungsorientierten Lernens (EOL) und das hat sich sowohl im Denken als auch im Handeln bewährt. So können wir heute mit stolz auf die Formel IL3=ELF10 verweisen und damit eine entscheidend höhere Effektivität im Lernen erreichen.
Ich hoffe und denke, dass Herr Breitkreuz hier einen wesentlichen Denkanstoß für weiterführende Diskussionen geliefert hat. So ist aus einer kurzen Diskussion auf Facebook nun ein Blog-Beitrag entstanden, für den ich mich herzlich bedanke!